Nach der begonnenen Automatisierung der Ortsnetze und nachdem sich iim Ortsverkehr die Wähltechnik bewährt hat, beginnened 1908 mit dem ersten Wählamts Europas in Hildesheim bis hin zum ersten Einheitswählsystem 22 im Jahre 1922, wurden die ersten Unternehmungen gemacht auch die Fernverbindungen durch Selbstwahl aufzubauen. Alles begann mit der sogenannten Netzgruppentechnik, mit der punktuell Ortsnetze in einem Radius um die 100 km vernetzt und somit automatisch zu erreichen waren. Die erste Netzgruppe war die Netzgruppe Weilheim in Oberbayern, welche 1923 ihren Dienst aufnahm. In der rechten Übersicht wird sie dargestellt. In dieser Netzgruppe waren alle Ortsnetze in einem Radius von ca. 25 km um den Netzgruppenmittelpunkt Weilheim herum integriert und in Selbstwahl zu erreichen. Eingesetzt wurde als Schaltglied der Siemens-Strowgerwähler, der schon im Ortswählsystem 22 Verwendung fand. In diesem System gab es noch keine offenen Ortsnetzkennzahlen (die „Vorwahl“), wie wir sie heute kennen. Die „Ortsnetzkennzahl“ war Bestandteil der Rufnummer und zwar die erste, die erste und zweite bzw. die erste, zweite und dritte Stelle der Teilnehmerrufnummer. Dadurch waren die Rufnummern 3- bis 6-stellig aufgebaut. Der Vorteil war, dass sich der Fernsprechteilnehmer keine Ortsnetzkennzahl merken musste. Nachteilig war, dass an den Standorten der Vermittlungsstellen diese nicht ohne weiteres zu erweitern waren, da Rufnummernkreise unter Umständen schon vergeben waren.
Aus diesem Grunde entschied man sich für das Netzgruppensystem das offene Kennzahlensystem in Bayern einzuführen. Das rechte Bild zeigt die nach diesem Prinzip geänderte Netzgruppe Weilheim. Dieses Kennzahlensystem hatte noch keine Gemeinsamkeiten mit den nach dem zweiten Weltkrieg festgelegten, einheitlichen Ortsnetzkennzahlen. Jedes Ortsnetz der Netzgruppe bekam somit eine einheitliche Vorwahlnummer zugeteilt. Jeder ankommenden Fernleitung im Knotenamt war ein sogenannter Zeitzonenzähler (ZZZ) zugeordnet. Dieser hatte die Aufgabe anhand der Ortsnetzkennzahl festzustellen, welcher Zähltakt für das Ferngespräch angelegt werden musste. Es galt: Je weiter die Entfernung von der rufenden Vermittlungsstelle, desto schneller der Zähltakt. Ebenso speicherte er die Zählimpulse und gab diese am Ende des Gespräches rückwärts zurück ins Ortsamt auf den Gesprächszähler des rufenden Teilnehmers. Aufgrund der begrenzten Speicherkapazität der ZZZ war die Gesprächszeit in dieser Netzgruppentechnik auf maximal 12 bzw. 6 Minuten begenzt. Nach dieser Zeit wurde das Gespräch zwangsgetrennt. Die Fernleitungen wurden mit dieser Technik grundsätzlich 2-drähtig durchgeschaltet, da es zu dieser Zeit noch keine Schaltglieder gab, welche eine 4-drähtige Durchschaltung zuließen. Zur Verfügung standen der Hebdrehwähler 22 (Strowgerwähler) und der Hebdrehwähler 27 (Viereckwähler). Nach diesem System wurden in den 1930er und 1940er Jahren Netzgruppen im Raum München, Nürnberg und Sangerhausen bei Halle (Saale) aufgebaut.
Der zweite Weltkrieg bremste wehement die weitere Entwicklung und Einführung des Selbstwählferndienstes aus. Der Großteil der Fernverbindungen wurde weiterhin per Hand hergestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden nach und nach die kriegsbedingten Schäden im vorhandenen Fernmeldenetz beseitigt. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 und Gründung der Deutschen Bundespost im Jahre 1950 wurde die Entwicklung und Einführung des Selbstwählferndienstes wieder vorangetrieben. Erste Erleichterungen brachte die sogenannte Beamtinnenferwahl. Hierdurch war es erstmalig möglich, dass das Abgangsfernamt über sogenannte Fernwahlleitungen im Ankunftsfernamt die gewünschte Gesprächsverbindung selbstständig durch Selbstwahl herstellen konnte. Dies brachte im handvermittelten Fernverkehr eine erhebliche Zeitersparniss. Zusätzlich viel am Ankunftsfernamt die zweite Vermittlungsbeamtin weg.
Ebenfalls wurde Anfang der 1950er Jahre der vereinfachte Selbstwählferndienst (vSWFD) für den Nahbereich eingeführt. Diesem lag das o.a. Netzgruppensystem zu Grunde. Erreicht wurde der vSWFD über die Verkehrsausscheidungsziffer 9. Es wurden kurze Kennzahlen verwendet, die keinen Zusammenhang mit den später einheitlichen und bis heute gültigen Ortsnetzkennzahlen. Beispielsweise wählte man für eine Verbindung von Hamburg nach Bremen die Kennziffer 91 plus Teilnehmerrufnummer. Jeder Fernleitung war eine sogenannte Zählübertragung (ZUe) mit einem festen Zähltakt zugeordnet, welche die sebbstständige Gebührenerfassung sicherstellte. Neu war bei dieser Technik, dass die Zählimpulse während des Gespräches zum Gesprächszähler des rufenden Teilnehmers übertragen wurden. Eine Gesprächszeitbegrenzung, wie in der oben beschriebenen Netzgruppentechnik, gab es nicht mehr. Als Schaltglieder wurden Hebdrehwähler (Viereckwähler) aus dem System 50 oder Edelmetall-Motor-Drehwähler (EMD) aus dem System 55/55v in Form des 2. Gruppenwählers eingesetzt. Die Schaltglieder werden hier durch den Nummernschalter des Teilnehmers direkt gesteuert, es erfolgt keine Zwischenspeicherung der gewählten Ziffern. Die Durchschaltung der Fernleitungen erfolgte somit weiterhin 2-drähtig. Der vSWFD wurde teilweise bis zur Einführung der Ortszeitzählung ab 1980 und des Nahbereiches von 50 km Umkreis vom rufenden Teilnehmer betrieben und entfiel danach vollständig.
Ab 1952 wurde dann die Zweidraht-Übergangstechnik (Übergangstechnik I) eingeführt. Diese Technik stützte sich auf einfach verfügbare Teile und sollte die Zeit überbrücken, bis bessere Schaltglieder für eine 4-drähtige Durchschaltung zur Verfügung standen. Im Gegensatz zum vSWFD wurden bei dieser Übergangstechnik schon die einheitlich festgelegten Orstnetzkennzahlen der Landesfernwahl angewendet. Ebenso wurde das hierachische System, bestehend aus Zentralvermittlungsstelle (ZVSt), Hauptvermittlungsstelle (HVSt), Knotenvermittlungsstelle (KVSt) und Endvermittlungsstelle (EVSt) eingeführt. Man beschränkte sich bei dieser Ausbaustufe nur auf die wichtigsten Verkehrsbeziehungen. Mit einfachen Mitteln hat es die Übergangstechnik I ermöglicht fast 60 % des Fernverkehrs im SWFD abzuwickeln. Zur Gebührenerfassung wurde erstmals eine zentrale Verzonungseinrichtung, bestehend aus Zählimpulsgeber (ZIG) und Verzoner (VZ) eigesetzt. Die Leitweglenkung war noch provisorisch entwickelt, d.h. stellte der VZ fest, dass die Fernverbindung im eigenen KVSt-Bereich lag, steuerte ein Umsteuerwähler die Verbindung dorthin um. Lag die Verbindung außerhalb, wurde diese an die zuständige HVSt bzw. ZVSt weitergegeben. Als Schaltglieder kamen hier 2. Gruppenwähler aus dem System 50 zum Einsatz.In dieser Technik fand zur Auswertung erstmalig eine Zwischenspeicherung der Ortsnetzkennzahl und Teilnehmerrufnummer statt, man spricht in diesem Fall von einer indirekten Wahl.
Als Weiterentwicklung der Zweidraht-Übergangstechnik I wurde ab 1956 die Vierdraht-Übergangstechnik (Übergangstechnik II) eingeführt. Hintergrund war, dass die 2-drähtige Durchschaltung der Fernleitungen nicht mehr zufriedenstellend war, da die Übertragungstechnik, z.B. Trägerfrequenztechnik, immer tiefer in die unteren Netzebenen des Fernwahlnetzes vordrang und somit das Übertragungsproblem in den Vordergrund rückte. Zwangsläufig führte es nun zu einer 4-Draht-Technik, welche eine stabile Zusammenschaltung mehrerer Trägerfrequenzsysteme gewährleistete. Als Schaltglied zur 4-drähtigen Durchschaltung der Fernleitungen stand nun der 1952 erstmalig in der Ortsvermittlungstechnik eingeführte Edelmetall-Motor-Drehwähler (EMD) in 4-drähtiger Ausführung zur Verfügung. Durch den Motorantrieb dieses Wählers war nun ein schnelllaufendes Schaltglied verfügbar, welches einen schnellen Verbindungsaufbau im Fernnetz sicherstellte. Als Neuerung wurde eine einstufige Leitweglenkung über Richtungswähler (RW) in der Ausgangs-KVSt eingeführt. Diese wird in der rechten Abbildung gezeigt. Dazu wurde die zentrale Verzonungseinrichtung VZ in einen Verzoner mit Richtungsabgriff (VZR) geändert. Der ZIG hat eine Gabel erhalten, um die ankommende 2-Draht-Leitung in eine 4-Draht-Leitung zu wandeln. Dem ZIG ist ein 4-Draht-RW nachgeschaltet, welcher 11 bis 17 Richtungen zur Auswahl hat. Eine Richtung war dem Leitungsbündel für den Kennzahlenweg vorbehalten, der zur übergeordneten HVSt oder ZVSt führte. Die restlichen Richtungen nahmen Leitungsbündel von Querleitungen zu anderen ZVSt’n, HVSt’n und KVSt’n auf. Der RW wird durch den VZR eingestellt. In unserer Ausstellung haben wir Komponenten dieser Technik ausgestellt, die wir auf den folgenden Seiten näher beschreiben wollen.
Die Entwicklung endete in der sogenannten Volltechnik, dem Fernwahlsystem 62. Hier war es nun möglich, eine Leitweglenkung in mehreren Stufen zu realisieren, welche keine Begrenzung von Zahl und Art der erreichbaren Richtungen hat. Rechts wird eine Übersicht der Volltechnik gezeigt. Zentrale Register (Knotenregister, Hauptregister) übernahmen hier die Aufgaben der Ziffernspeicherung, der Verzonung und der Richtungseinstellung. Ein zentralisierter Umwerter, bestehend aus einer Dioden-Matrix, bedient alle Register und war somit das zentrale „technische Gehirn“. Durch den Einsatz von elektronischen bzw. quasielektronischen Schaltmitteln im Register und Umwerter, durch Verwendung schneller Suchwähler und durch Markierverfahren mit zeitsparenden Codes wurden die unvermeidbaren Wartezeiten beim Verbindungsaufbau in erträglichen Grenzen gehalten. Der RW wurde ebenfalls weiterentwickelt zum RW 62. Eine detaillierte Beschreibung des Fernwahlsystem 62 finden Sie bei unserem befreundeten Verein der Telekom-Historik Bochum e.V. Das Fernwahlsystem 62 wurde dann noch einmal weiterentwickelt zum Fernwahlsystem 69. Der Verbindungsaufbau war der gleiche wie im System 62, nur wurden der ZIG, die Register und Umwerter nun elektronisch ohne elektromeschanische Schaltmittel aufgebaut. Die Ära der Fernwahlsysteme 62 und 69 endeten mit der Digitalisierung des Fernnetzes, die um 1994 abgeschlossen war.